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10.07.16 –
Am Bassumer Bahnhof erinnert ein Gedenkstein an den früheren Landjäger Hans Krebel, der 1924 Opfer eines Mordes wurde. Der Stein ist verwittert und mittlerweile kaum noch lesbar. Deshalb fällt er in kaum jemandem auf. Auch Cord Petermann hat ihn lange nicht bemerkt. Der Schorlingborsteler fährt regelmäßig mit dem Zug von Bassum nach Bremen. Vor einigen Jahren allerdings entdeckte er den Stein. Er war sauber gemacht worden. Petermann war ziemlich erstaunt über das, was er las: „Hier fiel durch Mörderhand unser Stahlhelmkamerad...“
Vor allem das Wort „Stahlhelm“ irritierte Petermann. Er ordnet die Vereinigung ehemaliger Frontsoldaten eher in der rechten Ecke ein. „Sie haben demokratische Tendenzen stark bekämpft und Hatz auf Sozialdemokraten und Kommunisten betrieben“, sagt Petermann. Und derer wird gedacht?, fragte er sich verwundert.
Als er Torsten Eggelmann von den Grünen traf, und die beiden über die Kampagne der Amadeu-Antonio-Stiftung „Kein Ort für Neonazis“ sprachen, kamen sie auch auf den Gedenkstein. „Wir waren uns einig, dass es sinnvoll ist, einmal die Hintergründe zu beleuchten, die zur Aufstellung des Gedenksteines geführt haben“, so Eggelmann.
Im April fragte er während der Ratssitzung an, ob das Thema in der Verwaltung bekannt sei. Bürgermeister Christian Porsch sagte eine Klärung zu und lieferte später die Hintergründe: Krebel war einer von damals drei Polizisten der Stadt. Er untersuchte an seinem Todestag einen Einbruch und vermutete die Einbrecher im Bereich des Bahnhofs. Als er dort zwei Männer ansprach, zog einer seine Pistole und verletzte Krebel so schwer, dass er am Abend verstarb. Die Täter wurden gefasst und verurteilt. Der Todesschütze zum Tode, sein Komplize zu 15 Jahren Zuchthaus. Krebel hinterließ Frau und Kind.
Um den Beruf des Polizisten zu ehren, wurde der Gedenkstein aufgestellt – von den Kriegssoldaten und Stahlhelmkameraden. Der Stein gedenke lediglich des ermorderten Polizisten und nicht der Vereinigung, hieß es. Diese Aussage reicht Eggelmann und Petermann nicht aus. Sie würden es für sinnvoll erachten, am Stein eine zusätzliche Infotafel aufzustellen, die das Geschehen einordnet.
Den beiden geht es nicht nur um die reinen Daten und Fakten, sondern vielmehr auch darum, welcher Zeitgeist in der Bevölkerung herrschte.
Das eine sei, dass der Stahlhelm beispielsweise nette Konzerte und Tanzveranstaltungen organisiert habe. „Viel interessanter wäre es zu wissen, welche Stimmungen, Meinungen und Einstellungen dort transportiert worden sind“, sagt Eggelmann.
Er hofft darauf, dass sich interessierte Menschen finden, die die geschichtlichen Hintergründe aufarbeiten und eventuell eine Geschichtswerkstatt gründen wollen. „Ich bin gerne bereit, zunächst eine solche Runde zu koordinieren“, so Eggelmann. Er ist überzeugt, dass es vor Ort viele andere historische Überbleibsel gibt, die sich lohnen, aufgearbeitet zu werden.
Das Bassumer Archiv wäre durchaus bereit, sich in so einen Kreis einzubringen. „Wir können das nicht alleine leisten. Aber wir könnten Material beisteuern“, sagt Archivar Michael Junge auf Anfrage unserer Zeitung.
Ein Blick in das Findbuch im Archiv hat auf Anhieb 60 Artikel für das Suchwort „Stahlhelm“ ausgespuckt. Einige davon könnten durchaus interessante Informationen enthalten. Eggelmann: „Man muss zwischen den Zeilen lesen, um etwas über den Zeitgeist zu erfahren.“ Er verweist unter anderem auf einen Artikel im Bassumer Anzeiger. Dieser berichtete über den Prozess: „Die beiden Angeklagten werden an den Händen geknebelt in den Saal geführt. Wagner sieht nach Zigeunerart frech umher...“ An anderer Stelle heißt es: „Man müsse die „Minderwertigkeit der Angeklagten in Charakter, Schulbildung und ... berücksichtigen“.
Eggelmann kritisiert: „Es wird da schon ein Bild gemalt. Eine ganze ethnische Gruppe mit Diebstahl, Mord und niederen Charakterzügen in Verbindung gebracht.“
Natürlich seien Gruppen wie der Stahlhelm, Richter, Staatsanwälte oder Journalisten nicht die Täter. „Aber sie können Steigbügelhalter sein“, warnt Eggelmann. Deshalb sei es wichtig, aus der Geschichte zu lernen. Dazu gehöre auch, neben einem eher schlichten Stein, zu Schlagwörtern wie zum „Stahlhelmkamerad“ über die Bedeutung solcher Gruppen aufzuklären.
Der Stein war ursprünglich am Stellwerk platziert worden. Im Zuge der Baumaßnahmen am Bahnhof musste der Findling weichen, wurde vorübergehend am Bauhof gelagert und später gesäubert und wieder aufgestellt. Das war 1993.
Eggelmann ist überzeugt: „Geschichte kann helfen, um bestimmte Strömungen zu erkennen und die jetzige Zeit zu erklären.“ Das wäre sicherlich auch für Schulen interessant.
„Ich stamme ursprünglich aus Bergen. „Bei uns wurde nie über das Konzentrationslager gesprochen. Es wurde geschwiegen“, erinnert sich der Grünen-Ratsherr. Er wünscht sich, dass sich die Menschen viel mehr mit der Geschichte gerade auch vor Ort beschäftigen.
Die Archivare Michael Junge und Jochen Meyer hoffen seit Langem darauf, dass sich mehr Schulen für das Archiv interessieren. Es beherbergt viele interessante Schätze, die den Geschichtsunterricht bereichern und veranschaulichen könnten. Unter anderem Tonbandaufnahmen von Bassumern, wie sie das Kriegsende erlebt haben. Nur eines von vielen interessanten Dokumenten.
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